Eine Reise für Trauernde nach Sardinien

Alghero – Seit der Reise nach Sardinien hat Trauer ein Geräusch. Sie ist das leise Klicken, wenn eine Münze auf einen Metallboden fällt; dieses dumpfe Geräusch, wenn ein Geldstück in einem Spendenkästchen aufschlägt.

Man kann den Klang hören, wenn es in Kirchen bis auf das Schlurfen der Schritte fast still ist. Er geht dem Anzünden einer Kerze vor dem Altar voraus. Wenn Marita, Helga und die anderen 13 Frauen während der Reise eine Kirche besichtigt haben, hörte man das Geräusch jedes Mal. Klick, klick, 15 Mal. Dann zündeten sie die Kerzen an. So gedenken sie ihrer Toten.

Wer den liebsten Menschen in seinem Leben verliert, ist in den Ferien oft besonders allein. Mit wem nun auf Reisen gehen? Trauerreisen sind dann eine Option. Nur wenige Veranstalter in Deutschland bieten so etwas an – mit ganz unterschiedlichen Konzepten. Re-Bo-Reisen ist seit 2006 im Geschäft und hat den Sardinien-Trip organisiert, eine Gruppenreise mit Besichtigungsprogramm. Das Besondere: Während der Tour ist eine ausgebildete Trauerbegleiterin dabei, die man jederzeit ansprechen kann, aber nicht muss.

Das Kennenlernen ist um 10.00 Uhr am Pool des Hotels. 15 Frauen sitzen erwartungsvoll an einer langen Tafel. «Bitte schließt niemanden aus», sagt Claudia Heyne, Reiseleiterin und Geschäftsführerin von Re-Bo-Reisen in ihrer Begrüßungsrede. Es sei für jeden ein großer Schritt, sich allein zu einer Gruppenreise anzumelden, noch dazu, wenn man trauert. Dann geht die Vorstellungsrunde los.

«Ich heiße Marita, ich bin 63 Jahre alt, und mein Mann ist vor zwei Jahren an ALS gestorben, das ist die Krankheit, die ihr vielleicht von der Ice Water Challenge kennt.»

«Mein Name ist Helga, ich war mit meinem Mann viermal auf Sardinien, vor elf Monaten ist er an Asbestose gestorben, er war Psychologe, mit Asbest ist er während eines Studentenjobs vor über 40 Jahren für drei Wochen in Kontakt gekommen.»

So geht das reihum. Zwei Frauen haben Kinder verloren, andere Eltern und Ehepartner gleichzeitig. Nach dem vierten Schicksal steht eine Frau auf und geht weg. Einige Frauen weinen, als sie sich vorstellen. Nach etwa einer Stunde ist alles vorbei.

Für Helga ist es – anders als für viele der anderen Frauen – die erste Reise mit dem Veranstalter. Sie ist mit 58 Jahren die Jüngste in der Gruppe. Ihr Mann ist vor fast einem Jahr gestorben, 28 Jahre waren die beiden zusammen.

Eine normale Gruppenreise schloss Helga für die Reise nach Sardinien aus. «Jemand, der sich erholen möchte, will meine Trauerstory nicht hören», sagt sie abends in der Hotelbar. Und das Gespräch käme zwangsläufig auf sie. «Man hört eine Musik, oder da ist ein Geruch, und auf einmal geht die Erinnerung los und die Tränen laufen», erzählt sie. Kurze Zeit später sei das wieder vorbei. «In dieser Gruppe muss ich mich dafür nicht erklären.»

Egal, ob während der Ausflüge oder am Nachmittag am Pool: Die am meisten gefragte Person in der Reisegruppe ist Regina. Die Trauerbegleiterin ist zurückhaltend und abwartend. Regina ist 59 Jahre alt. Als sie 15 Jahre ist, verunglückte ihr ältester Bruder mit dem Auto. Fünf Jahre später starb ihre Mutter. Es sind diese Erfahrungen, die dazu geführt haben, dass sie sich schon früh mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Die Gemeinschaft mit anderen Trauernden auf der Reise gebe einen Raum, in dem der Verlust thematisiert werden darf, sagt Regina. Das helfe, sich der Trauer zu stellen und sie zu bewältigen.

Eine, die immer wieder das Gespräch mit Regina sucht, ist Marita. Sie hat 45 Jahre als Krankenschwester gearbeitet, davon viele Jahre als Stationsleiterin. Sie hat eine braune Kurzhaarfrisur und ist permanent in Bewegung. Marita hat erst ihren Mann verloren, zehn Monate später folgte ihre Mutter. Beide hat sie – wie Helga und viele der anderen Frauen – bis zum Schluss zu Hause gepflegt. «Natürlich war ich an meinen Grenzen», sagt sie. «Aber man entwickelt auch ungeahnte Kräfte.» Sie und ihr Mann haben 1975 geheiratet, davor gemeinsam ein Haus gebaut. «Es ist uns immer gut gegangen», sagt Marita.

Als der Mann 59 Jahre ist, fallen die Sprachstörungen zum ersten Mal auf. Als sich die Sprachstörungen nach einem Jahr deutlich verschlechtern, wird Maritas Mann noch einmal eingehender untersucht. Dann kommt die Diagnose ALS. ALS ist eine seltene Nervenkrankheit, die nicht geheilt werden kann und sehr grausam verläuft. Nach und nach geben die Muskeln im Körper auf, bis man irgendwann erstickt.

Sie beschließen das Beste daraus zu machen, aber die Krankheit geht ihren Gang. Zur Beerdigung kommen 250 Menschen, Marita erhält 400 Karten. Zwei Jahre ist das alles her. Und seitdem hat sie das Problem: Sie kommt nicht mehr zur Ruhe. «Ich knalle mich so mit Beschäftigung zu, aber ich kann innerlich überhaupt nicht mehr entspannen», erzählt sie.

Dann steht der Abschied an. Am letzten Abend sitzen die Frauen nach dem Abendessen noch einmal gemeinsam in der Hotelbar. Morgen kehren sie zurück in ihre leeren Wohnungen. Sie empfinden Bedauern, dass diese Trauerreise zu Ende geht.

Aber das Bedauern ist auch ein Anfang. Mit dem Verlust sei es wie mit einem Teppich, der in der Mitte durchgerissen ist, hat Regina gesagt. Die Trauerarbeit sei, die losen Fäden wieder miteinander zu verweben. An diesem letzten Abend sieht es so aus, als hätten sie mit dieser Reise und ihren Bekanntschaften ein paar Knoten mehr gemacht. Mit der Zeit wird daraus wieder ein Teppich. Vielleicht keiner, den die Frauen sich im Geschäft ausgesucht hätten. Er sieht vielleicht ein bisschen schief aus. Aber es wird doch wieder ein ganzer Teppich.

Anbieter von Trauerreisen
Trauerreisen bieten wenige Veranstalter in Deutschland an. Neben Re-Bo-Reisen gibt es beispielsweise:

Wendpunkte Trauerreisen (wendepunkte-trauerreisen.eu),

Trau Dich Reisen (traudichreisen.de),

Care and Sail (care-and-sail.de),

Emotionskultur (emotionskultur.de),

Natur-Sprung (natur-sprung.de) und

Zeit Trauer Raum (zeit-trauer-raum.de)

Fotocredits: Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup,Kristin Kruthaup
(dpa/tmn)

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