Bessere Versorgung psychisch Kranker ohne mehr Praxen?

Berlin – Ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland leidet übers Jahr gesehen an mindestens einer psychischen Störung, so eine Untersuchung des Robert Koch Instituts. Die Bandbreite reicht von Angst- und Schlafstörungen über Depressionen und Demenz bis zu Süchten wie Alkohol- oder Magersucht.

Auf der Suche nach einem Psychotherapeuten wird man allzu oft am Telefon vom Anrufbeantworter abgespeist – auch in dringenden Fällen, in denen sich der Patient mit Tötungsgedanken quält. Hat man endlich einen Therapeuten erreicht, wartet man erneut häufig monatelang auf einen Behandlungstermin. Vom 1. April an wird das Leistungsangebot für psychisch Kranke deutlich verbessert, ohne jedoch die Zahl der Psychotherapeutenpraxen entsprechend aufzustocken. 

Was ändert sich für Patienten?

Kernpunkt der geänderten Psychotherapierichtlinie ist die Einführung einer psychotherapeutischen Sprechstunde. Psychotherapeuten müssen demnach pro Woche mindestens zwei Stunden (4 Sprechstunden zu je 25 plus Pausen) für Sprechstunden zur Verfügung stehen. Für eine Sprechstunde können Termine vereinbart werden. Sie kann aber auch als offene Sprechstunde ohne Terminabsprache angeboten werden. Erwachsene können bis zu sechsmal 25-minütige Sprechstunden-Termine bekommen, Kinder und Jugendliche bis zu zehnmal.  

Was verbessert sich noch?

Psychotherapeutische Praxen müssen mindestens 200 Minuten in der Woche telefonisch erreichbar sein. Diese Zeit muss in Einheiten von mindestens 25 Minuten angeboten werden. Der Psychotherapeut muss diesen «Telefondienst» nicht persönlich leisten, sondern kann dafür auch Praxispersonal oder einen Dienstleister einsetzen. Im Prinzip kann am Telefon ein Termin für ein erstes Gespräch vereinbart werden. Möglicherweise kann hier auch schon eine gewisse Dringlichkeit für einen Sprechstundentermin festgestellt werden.

Wie ist mit einem Notfall umzugehen?

In der Sprechstunde kann auch geklärt werden, ob in solchen dringenden Fällen eine sogenannte Akutbehandlung erforderlich ist. In diesem Fall kann ohne langes Antragsverfahren mit der Krankenkasse rasch eine Behandlung des Patienten begonnen werden. Sie erfolgt als mindestens 25-minütige Einzelbehandlung, bis zu 24-mal je Krankheitsfall. Mit einer Akutbehandlung soll verhindert werden, dass die Patienten nicht mehr zur Arbeit oder Schule gehen können oder in ein Krankenhaus müssen und die psychische Erkrankung chronisch wird. Patienten sollen so also kurzfristig stabilisiert werden.

Und wenn es dann immer noch keinen Termin beim Therapeuten gibt?

Dann gibt es noch seit gut einem Jahr die
Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die müssen vom 1. April an auch Termine in der psychotherapeutischen Sprechstunde vermitteln. Für die Vermittlung eines Sprechstundentermins ist keine Überweisung nötig. Wie bei anderen
Fachärzten gilt auch hier: Der Termin muss innerhalb einer Woche vermittelt werden und darf nicht später als vier Wochen nach der Anfrage liegen. Klappt dies nicht, kann der Patient in die Ambulanz eines Krankenhauses gehen.

Was geschieht in der Sprechstunde?

«Die Patienten können künftig in der Sprechstunde rasch erfahren, ob sie krank sind, ob sie eine Behandlung brauchen oder ob sie nur eine Krise haben, die auch anderweitig bewältigt werden kann», sagte der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Dietrich Munz, der dpa. Die Psychotherapeuten sollten also bei Bedarf auch auf Hilfsangebote verweisen, die nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, wie Selbsthilfe, (Ehe-)Beratungsstellen oder gemeindepsychiatrische
Versorgung.

Gibt es für dieses erweiterte Angebot mehr Psychotherapeuten?

Die Zahl der psychischen Störungen ist seit Jahren relativ konstant. Doch die Zahl derer, die sich deswegen behandeln lassen, nimmt zu. Das hängt auch damit zusammen, dass das Thema psychische Erkrankung enttabuisiert wurde und wird. Es gibt mehr Bedarf als Psychotherapeutenpraxen, klagt Munz und fordert endlich eine angemessene Bedarfsplanung in der Psychotherapie. Sie müsse sich «endlich an der Häufigkeit der Erkrankungen orientieren. Und sie muss auch regionale Besonderheiten berücksichtigen.» Praxissitze in stark überversorgten Städten sollten geschlossen und dafür auf dem Land eröffnet werden. Das erweiterte Angebot dürfte diese Forderung noch dringlicher machen.

Fotocredits: Julian Stratenschulte
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