Der steinige Weg vom Hauptschüler zum Azubi

Berlin (dpa/tmn) – Es sieht aus wie die einfachste Matheaufgabe der Welt. 48 900 Ausbildungsplätze sind unbesetzt. Und 23 700 Jugendliche haben keinen Ausbildungsplatz, hätten aber gerne einen.

Leer ausgehen sollte also niemand, rein rechnerisch. In der Praxis bleiben aber viele Plätze unbesetzt – und viele Jugendliche unversorgt. Darunter sind nicht nur Hauptschüler und Jugendliche ganz ohne Abschluss. Für diese Gruppe hat es aber besonders fatale Folgen, wenn sie bei der Ausbildungssuche leer ausgehen.

So sind unter den Hauptschul-Abgängern zwischen 20 und 34 Jahren 31 Prozent, die dauerhaft ohne Berufsabschluss bleiben. Das geht aus dem Datenreport zum Berufsbildungsbericht des
Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervor. Betrachtet man alle 20- bis 34-Jährigen, liegt die Quote dagegen nur bei 13 Prozent.

Und doch finden viele Unternehmen keine Azubis – in Branchen, die seit Jahren über Nachwuchsmangel stöhnen. Woran liegt das? Ein simpler Grund: Oft sind die Bewerber nicht da, wo der Bedarf ist. Es gibt «erhebliche regionale Anpassungsprobleme», sagt Ulrike Friedrich, Ausbildungsexpertin beim
Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

Andere Experten sagen jedoch: Die regionalen Unterschiede allein erklären den Mangel noch nicht. «Ich denke schon, dass das größte Problem bei der Ausbildungsplatzvergabe der Abschluss ist», sagt Matthias Anbuhl, Leiter der Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Vor allem der Hauptschulabschluss sei in Deutschland stigmatisiert.

Formale Zugangshürden kennt der Ausbildungsmarkt zwar nicht. In der Praxis gibt es aber doch viele Berufe, in denen Realschüler oder Abiturienten mindestens bevorzugt werden. «Fast die Hälfte der bei der
Bundesagentur für Arbeit angebotenen Ausbildungsplätze steht Menschen mit Hauptschulabschluss nicht mehr offen», sagt Anbuhl.

Andererseits gibt es unbesetzte Lehrstellen oft genau in den Branchen, die auch Hauptschüler annehmen – sei es in der Gastronomie, im Handwerk oder am Bau. «Da geht es dann oft gar nicht mehr nur um die Schulbildung», sagt Friedrich. Natürlich brauchten die Jugendlichen Grundlagen in Form von Schulbildung – je nach Job mal mehr, mal weniger. «Aber grundsätzlich sagen viele Betriebe, dass sich Lücken in der Schulbildung leichter füllen lassen, als wenn jemand nicht in ein Team passt oder kaum Interesse zeigt.»

Das klingt simpel, dahinter verbirgt sich aber ein weiterer Streitpunkt: Die berühmte Ausbildungsreife, die nicht nur Schulbildung umfasst. «Soziale Kompetenz fällt darunter, Motivation, Biss, Leistungsbereitschaft und auch eine gewisse Zuverlässigkeit», sagt Friedrich. «Wenn ich all das mitbringe, habe ich auch als Hauptschüler heute gute Chancen.» Doch genau da hapert es, klagen viele Unternehmen.

Gewerkschafter Anbuhl sagt jedoch: Ausbildungsreife ist nicht statisch, sondern muss sich oft erst noch entwickeln. «Wir wissen aus der Erfahrung, dass viele Jugendliche, die in der Schule Probleme hatten, in der Ausbildung förmlich aufblühen», erzählt er.

Inzwischen gibt es auch Fördermaßnahmen, die Jugendliche und Betriebe noch während der Ausbildung unterstützen: Die Ausbildungsbegleitenden Hilfen (ABH) zum Beispiel, eine Art Nachhilfe für Azubis, die mit dem Schulstoff nicht zurechtkommen. Noch weiter geht die Assistierte Ausbildung, die sich neben schulischen auch um private Probleme kümmert – mit einer engen Betreuung durch Sozialpädagogen, vor allem im ersten Ausbildungsjahr.

Hinzu kommen diverse Maßnahmen, mit denen unversorgte Jugendliche noch einen Platz finden sollen. Für Jugendliche mit schlechten Abschlüssen oder Noten können solche Programme eine gute Chance sein, doch noch an einen Ausbildungsplatz zu kommen.

Wer ist wirklich unversorgt?

Um die Zahl der unversorgten Jugendlichen gibt es viel Streit – vor allem darum, was das genau bedeutet. Denn neben den 23 700 komplett unversorgten Jugendlichen nennt die Ausbildungsmarktbilanz der Bundesagentur für Arbeit noch eine weitere Zahl: 56 500 Jugendliche, die zwar in einer Alternative gelandet sind, Maßnahmen zur Qualifizierung etwa, die aber trotzdem gerne weiter einen Ausbildungsplatz hätten. «Eingemündet» nennt die Bundesagentur das. Eigentlich gibt es also noch viel mehr Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden – trotz vieler offener Lehrstellen.

Fotocredits: Markus Scholz,Nestor Bachmann,Jens Schicke,Matthias Anbuhl

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(dpa)